Manchmal glaube ich diesen Blick zu sehen. Nein, ganz falsch. Manchmal, da sehe ich, wie er diesen Blick hat. Dieser kurze Blick des Erkennens. So, als wäre das Alles nur ein Spiel. Eine Maskerade und er könnte im nächsten Moment einfach so wie durch Zauberei – wieder er selbst sein. Doch es gibt keine Zauberei. Nur Tricks. Und er wird nie wieder er selbst sein. Das sagen nicht nur die Ärzte. Das sagt auch meine Vernunft. Meine Erfahrung. Mein Herz
Was er doch für ein Mann war
Der perfekte Mann, wahrscheinlich nicht nur für mich. Dabei geht es gar nicht um die Anzahl seiner möglichen Verehrerinnen oder der Affären, die er in seinem Leben hatte (diese traurige, nutzlose Maßzahl, mit dem der Pöbel seine Wertigkeit im Leben zu benennen versucht). Er hatte einfach diese Aura. Diesen Charakter. Diesen Geist. Er konnte einen Raum vollkommen einnehmen. Das Licht darin erhellen oder dimmen, so als hätte er eine mystische Kontrolle über Newtons Erbe… Räume, die er betrat, waren nie ganz voll oder halb leer. Sie waren erfüllt mit ihm.
Sein Lachen waren Engelsgesänge. Sein Spott satanisch. Sein Körper rein und makellos. Wenigstens glaubte man das, wenn er in der Nähe war auch wenn er alles andere als eine Fernsehschönheit war. Mehr als einmal hatte sein Charme den Regen für mich gebogen
Und hin und wieder, da sehe ich ihn, in diesen Blicken, wie er, ein Gefangener, hinter einer dicken Glasscheibe schreit und gestikuliert, dass man ihn doch endlich herauslassen möge; ihn befreien müsse! Und dann driftet er wieder weg, hinein, in das große Kind, dass er jetzt ist der lachende Mann
Ihm. Hätte der Ausdruck gefallen, denn er mochte diese japanische Serie, in der sich hinter dem lachenden Mann, diesem digitalen Pseudonym, ganz ähnlich wie hinter der Maske von Guy Fawkes, ein Revolutionär verbirgt, der jeder von uns sein könnte, das bessere und einzige Gespenst: Eine Idee!
Doch der lachende Mann, der er geworden ist, den
Den hätte er nicht gemocht. Vor ihm, vor diesem Schicksal, hatte er Zeit seines Lebens Angst gehabt. Der Mann hinter des Masken, der in uns allen schlummert, ständig danach lauernd und geifernd, die Kontrolle zu übernehmen und die Vernunft zu besiegen. Dieser Mann, der lachende Mann, ist das Ende aller persönlichen Kausalität.

Ich weiß. Ich rede um den heißen Brei herum. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich es nicht aussprechen will. Dass ich es nicht zugeben will. Dass ich ihn verloren habe. Diesen tollen, einzigartigen Menschen, der jetzt nur noch sabbert und vor sich hin lebt. Lachend. Über alles und nichts, so als ob der Pöbel ihn zu einem der ihren gemacht hätte. Einem
VIEH! Mein Mann, mein geliebter Mann! Was haben sie aus dir gemacht! Was haben sie dir angetan?!!!!…
Vielleicht
Vielleicht sollte ich einfach davon erzählen, wie es passiert ist
Es war ein Unfall und ja, natürlich kamen die Täter zu gut davon, ja klar
Denn sie haben ihn ja nicht umgebracht, ihn nicht getötet! Und wer nicht tot ist, der ist ja noch einmal mit dem Leben davon gekommen, ABER WAS FÜR EIN LEBEN IST DAS?!!! UND WER DENKT AN DIE HINTERBLIEBENEN, DIE VON NUN AN MIT EINEM Pflege-Fall LEBEN MÜSSEN???!!!! WAS IST MIT MIR???!!!
Es war
Entschuldigung.. Es war die Nacht des Champions Leagues Finales. Die Dortmunder gegen den FC Bayern der Arbeiterverein gegen den Bauernverein. Ich
ICH wollte das Spiel sehen! Er wollte nicht hin, wollte es gar nicht SEHEN! Aber ich
Für ihn war Fußball nur eine Ersatzhandlung. Brot und Spiele für die Massen, die ihre Halbgötter brauchen, welche sie anbeten können. Gerade hier, im Hinterwäldlerischen Bayern! Wo die Stars wie Götter verehrt werden, 17 jährige Mädchen ficken dürfen, Steuern hinterziehen und Häuser in Brandt stecken und das vom VEREIN klein geredet wird worauf der miese kleine Bauer, der NICHTS im Leben hat als seine Vereinsgläubigkeit, entschuldigt! Entschuldigt all das, was er an den Großen und an den Politiker hasst! Denn sie sind ja der FC SONSTWER! Diese ignoranten Fans, die selbst in ihrem kleinen Unternehmen schuften oder sich auf Drehstühlen durch den Alltag rollen lassen, und dabei ihre Millionäre anbeten, diese Söldner mit Hauptschulabschluss, weil sie endlich jemand gefunden haben, der ihnen ähnlich genug, also klein genug ist, dass sie zu ihm aufsehen können
Forever number one!!!
Tut mir leid
Ich werde hysterisch
In manchen Kulturen bedeutet das, ehrlich zu sein
Ich gebe ja nicht der Unterschicht die Schuld, sondern mir selbst, denn wäre ich nicht auf die Idee gekommen dieses von den Medien so gepuschte Ereignis sehen zu wollen… Dann wäre
Dann
JA!… Dann
Dann
Dann
Umso häufiger man ein Wort wiederholt, desto mehr verliert es seinen Sinn
Wir sind also auf dem Weg zurück gewesen. Bei einem uns bekannten Pärchen hatten wir zu Abend gegessen, das Spiel gesehen und ich erzählte ihm noch, wie unglaublich unfair es war, dass dieser Dante für sein Foul nicht Gelb/Rot oder gleich Rot gesehen hat
Wenn es denn schon zum Elfmeter
Tut mir leid
Ich verliere mich in Nichtigkeiten
Doch so war es nun einmal. Es geschah einfach aus dem Nichts heraus. Da raste der Dacia heran wie ein betrunkenes Tier und fuhr mir meinen Mann aus der Hand. Direkt aus der Hand heraus
Über den Gehsteig
Der Fahrer
Einer dieser FC Bayern-Fans, die nichts im Leben haben außer ihrer Einfalt und ihrem Starrsinn, war betrunken nach dem Abpfiff in sein Auto gesprungen, irgendwo in einem Kaff, in dem es bestimmt nicht einmal einen Handyempfang gibt, ein beschauliches ÖRTCHEN mit einem diesem lächerlichen, bäurischen Namen Agawang und war mit seiner Clique nach München gerast um am Autocorso teilzunehmen, um Teil des Pöbels zu werden, Teil der abartigen Religion, dem einzigen Glauben, zu dem er überhaupt noch fähig ist, in stiller Andacht an einen Mann, der Würste verkauft, Steuern hinterzieht und ein Blutdruckproblem hat
Entschuldigung
Ich flüchte mich in Scherze
In Wut. In Ekel
Für diese Arten des Daseins
Betrunken war ich, ja, hat er noch gesagt, In so einer Nacht wird man nicht kontrolliert, dachte ich in meinem Rausch. Da herrscht doch Ausnahmezustand. Das war seine Rechtfertigung. Und jetzt, jetzt habe ICH den Ausnahmezustand! Den ständigen Ausnahmezustand
Mein Mann. Er
Ist wie verschüttet. Kann nicht einmal mehr alleine essen. Nicht einmal mehr gerade gehen. Er braucht Hilfe, Versorgung. Rund um die Uhr. Er, der einmal die Selbstständigkeit in Person gewesen ist, ist nur noch ein Krüppel, der sich gebärdet wie ein Kind. Der den ganzen Tag lacht, wie irr, so als ob er glücklich wäre, wenn er Autorennen, Explosionen und Fußball im Fernsehen sieht, der zu weinen anfängt, wenn wir eine Oper oder Theater sehen, was er Beides früher so geliebt hat
Manchmal erscheint mir es so, als sei er von dem betrunkenem Pöbel umprogrammiert worden. Als sei er gehackt worden, wie dieser lachende Mann aus der Serie, so dass er zu einem der ihren wurde
Einem Sofapflegefall
Aber ich weiß
Ich bin mir sicher
Irgendwo da drinnen ist MEIN MANN, der wie wild gegen die Glasscheibe seines Bewusstseins hämmert, um heraus zu kommen. Und dass er in Wahrheit weint, wenn sein Mund lacht, und das sein Weinen ein verzerrtes Frohlocken ist
Ich will meinen Mann wieder haben… Mehr will ich doch gar nicht
Diese Vereine kaufen für 40 Millionen Euro einen Menschen für ein paar Jahre, präsentieren sie wie Erlöser auf ihren Pressekonferenzen, aber mein Mann
Der war ihnen nicht so viel Wert. Keine Millionen. Nicht einmal eine
Sie zahlen nicht für Pflegefälle
Niemand macht das freiwillig. Wir zahlen nur für Übermenschen. Oder für solche, die wir in unserer Dummheit dafür halten
Für bessere Menschen. Deren Namen werden skandiert. Und wissen sie was passiert, wenn ich den Namen meines Mannes rufe, damit er zum Essen kommt? Gar nichts. Er lacht nur. So, als wäre er der glücklichste Mensch auf der Welt.